Rebhuhnschutzprojekt im Landkreis Göttingen

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Prädation
Beim Umgang mit dem Thema Prädation gibt es viele Kontroversen, die oft sehr emotional geführt werden. Wir wollen uns ganz nüchtern mit dem Sachverhalt beschäftigen und nur die wissenschaftlich bestätigten Fakten betrachten. Letztlich gibt es beim praktischen Schutz der Rebhühner verschiedene Optionen, die Prädation zu reduzieren – und alle haben ihre Vor- und Nachteile.  

Alle Telemetrie-Studien am Rebhuhn zeigen, dass die Sterblichkeit von Rebhühnern sehr hoch ist und bei erwachsenen Vögeln fast ausschließlich durch Prädation verursacht wird (z.B. GOTTSCHALK & BEEKE 2014, OLESEN 2017). Rebhühner haben oft nur eine Chance zu brüten, da viele die zweite Brutzeit nicht mehr erleben können. Die Sterblichkeit der Hennen ist in der Zeit am höchsten, in der sie brütend auf dem Nest sitzen. Daher ist das Geschlechterverhältnis in der Population verschoben: Es gibt weniger Hennen als Hähne, weshalb in jedem Frühjahr etliche Hähne ohne Partnerin bleiben. Interessanterweise zeigen die beiden genannten Telemetrie-Studien (mit hohen Stichproben von besenderten wilden Rebhühnern) ein identisches Ergebnis, was die Art der Prädatoren angeht: 80 % der Hennen werden von Säugetieren und 20 % von Greifvögeln gefressen. Der bedeutendste Prädator des Rebhuhns ist der Fuchs (OLESEN 2017).

Es gibt heute mehr Füchse als vor 30 Jahren: zum einen hat die Tollwutimmunisierung und das gesunkene Interesse an der Niederwildjagd dazu beigetragen (WILD 2018). Zum anderen führt die Verarmung der Landschaft dazu, dass Räuber und Beute häufiger an den wenigen verbleibenden Rückzugsorten aufeinandertreffen (PANEK 2013). Die Studie von HARMANGE et al. (2019) zeigt, dass Rebhühner inzwischen riskantere Orte aufsuchen als in früheren Zeiten, weil vor allem an höheren Gehölzen, an Gebäuden etc. noch letzte Extensivstrukturen verbleiben. Somit wirken viele Faktoren auf das Prädationsrisiko ein.

Wie lässt sich das Risiko der Prädation beeinflussen/reduzieren?
1. Vermeidung der Prädatoren: Die Studie von GOTTSCHALK & BEEKE (2014) zeigt, dass das Prädationsrisiko stark vom Brutort der Henne abhängt. Während in schmalen, linienförmigen Landschaftselementen (Hecken, Feldraine, schmale Blühstreifen) der größte Teil der Nester prädiert wurde, blieben Nester in breiten Strukturen (Blühflächen, Brachen, Wiesen) zum größten Teil unentdeckt (Zahlen dazu unter dem Reiter FORSCHUNG). Lokal konnte allein mit ausreichend breiten Blühflächen (über 20 Meter) der Rebhuhnbestand in der Gemarkung Nesselröden fast verzehnfacht werden, ohne intensive Kontrolle der Prädatoren. Zurzeit wird dieser Versuch, Lebensraumaufwertung ohne zusätzliche Prädationskontrolle, in einem großen Experiment des EU-Interreg-Projektes PARTRIDGE in den deutschen Demogebieten wiederholt.

Zäune zum Schutz vor Prädatoren haben sich bei verschiedenen Arten, wie Koloniebrütern, als erfolgreich erwiesen. Beim Rebhuhn ist der Ansatz bislang nicht erprobt und schwieriger umzusetzen: die Brutorte sind kaum zu ermitteln und liegen häufig in dichter Vegetation. Zudem ist das Rebhuhn sehr empfindlich für Störungen. Das erschwert das Einzäunen und kann zudem zu Konflikten mit anderen Schutzzielen führen, etwa der Förderung des Feldhasen.

2. Kontrolle der Prädatoren: Vor allem Projekte in Großbritannien führen vor, dass die Kombination von Lebensraumaufwertung, Kontrolle der Prädatoren und Fütterungen sehr effektiv sein kann. Doch welche der drei Maßnahmen hat welchen Beitrag an der Zunahme der Rebhuhn-Bestände in den Projektgebieten? Die überzeugendsten Daten liefert der große sechsjährige Feldversuch von TAPPER et al. (1996): Die Kontrolle der Prädatoren – ohne Aufwertung der Habitate – erbrachte einen deutlich gestiegenen Bruterfolg und eine erhebliche Steigerung der lokalen Populationsgröße.

Es ist extrem aufwändig, die lokale Fuchsdichte wirkungsvoll zu senken: in den englischen Projekten ist dazu in der Regel ein Berufsjäger eingestellt. Ein Vollzeit-Berufsjäger arbeitet in der Regel auf 3-10 km² Fläche, um effektiv zu sein. Mit diesem Aufwand liegt die Fuchsdichte im Februar bei durchschnittlich 50% der sonst zu erwartenden Dichte (22 Projektgebiete mit Berufsjägern analysiert: PORTEUS et al. 2019). Die Fuchs-Spezialisten beim "Game and Wildlife Conservation Trust" in Großbritannien betonen, dass die wichtigste Zeit der Bestandeskontrolle von Füchsen das Frühjahr und der Sommer ist, da Füchse auch schnell wieder einwandern. Im Juni und Juli muss die Fuchsdichte gering sein, da die Rebhühner zu dieser Zeit brüten und am anfälligsten für Prädation sind.

Die Kombination beider Ansätze ist ebenfalls denkbar.

Abwägungen der beiden Ansätze Prädationskontrolle vs. Prädationsvermeidung
Auch bei dieser Abwägung bleiben wir emotionsfrei bei den fundierten Tatsachen:

Ohne Kontrolle der Prädatoren lassen sich keine hohen Rebhuhndichten erzielen. Unserer Erfahrung nach kommt man allein mit Lebensraumaufwertungen kaum über 4 Paare/km². Aus Naturschutzsicht ist diese Dichte schon sehr erfreulich – immerhin das Zehnfache der aktuellen durchschnittlichen Dichte in Deutschland.

In den britischen Projekten ist die Jagd auf Rebhühner die Motivation der Landbesitzer, sich mit umfassenden Maßnahmen am Schutz der Art zu beteiligen. Um Rebhühner wieder jagen zu können, braucht man weitaus höhere Dichten. Insofern ist die Anwendung des gesamten Maßnahmenpakets – Lebensraumaufwertung und Prädatorenkontrolle – aus jagdlicher Sicht nachvollziehbar.

Die britische Effektivität der Prädatorenkontrolle ist anderswo nicht zu erreichen: Fuchsjagd mit Scheinwerfer, Schlingenfang und die Jagd im Sommer zur Brutzeit ist in Deutschland verboten. Der Fuchs hat hier ab März Schonzeit – und genau diese Zeit im Frühjahr ist die wichtigste. Es gibt einige Studien, die zeigen, dass die Fuchsdichte in Projekten in Frankreich oder Deutschland trotz erheblicher Anstrengungen nicht ausreichend gesenkt werden konnte (LIERI et. al 2015; KÄMMERLE 2019). Unsere Telemetrie-Studien an Füchsen (Kathrin Mayer, Wildbiologie, Uni Göttingen, noch unveröffentlicht) zeigen, dass viele Füchse im Frühjahr sehr mobil sind: sogar Wanderung durch mehrere Bundesländer traten auf – und das nicht nur bei Rüden.
Aus Naturschutzsicht soll das Rebhuhn großflächig in der Landschaft erhalten werden. Schon aus praktischen und finanziellen Gründen ist die aufwändige Kontrolle der Prädatoren kein Ansatz für ganze Landschaften. Die jährlichen Ausgaben für intensive Prädatorenkontrolle in Großbritannien entsprechen etwa den Ausgleichszahlungen für etwa 50 Hektar Blühflächen. Wirkt ein englischer Gamekeeper auf 5 km² Fläche, steht man vor der Entscheidung: 10 % der Fläche mit z. B. Blühflächen aufwerten oder effektive Prädatorenkontrolle.

Aus den vorgestellten Tatsachen lassen sich verschiedene Schlüsse ziehen. Oft hängt die persönliche Wahl der Optionen davon ab, ob man ganze Landschaften im Blick hat oder ein eigenes Jagdrevier. Die Ergebnisse zeigen, dass man mit beiden Ansätzen Erfolg haben kann – wenn diese Ansätze korrekt durchgeführt werden. Im Rebhuhnschutzprojekt haben wir den Fokus auf indirekte Maßnahmen gelegt, vor allem durch die Bereitstellung sicherer Brutorte in Form breiter Blühflächen mit Abstand zu riskanten Orten wie Gehölzen.


Literatur
GOTTSCHALK & BEEKE (2014): Wie ist der drastische Rückgang des Rebhuhns (Perdix perdix) aufzuhalten? Erfahrungen aus zehn Jahren mit dem Rebhuhnschutzprojekt im Landkreis Göttingen. Ber. Vogelschutz 51, 95–116.

HARMANGE C., BRETAGNOLLE, V., SARASA, M. , PAY, O. (2019): Changes in habitat selection patterns of the gray partridge Perdix perdix in relation to agricultural landscape dynamics over the past two decades. Ecology and Evolution. 9, :5236–5247.

KÄMMERLE, J‐L, RITCHIE, EG, STORCH, I. (2019): Restricted‐area culls and red fox abundance: Are effects a matter of time and place? Conservation Science and Practice. 2019;e115. https://doi.org/10.1111/csp2.115.

LIEURY, N., RUETTE, S., DEVILLARD, S., ALBARET, M., DROUYER, F., BAUDOUX, B., MILLON, A. (2015): Compensatory Immigration Challenges Predator Control: An Experimental Evidence-Based Approach Improves Management. Journal of Wildlife Management, 79, 425–434.

OLESEN, C.R. (2017): New findings in dispersal, habitat-related breeding success and predation in Danish Grey Partridge. P.293 in BRO, E. & GUILLEMEIN, M. (eds): 33rd IUGB congress & 14th Pedix Symposium abstract book. ONCFS, Paris.

PANEK M. (2013): Landscape structure, predation of red foxes on grey partridges, and their spatial relations. Cent. Eur. J. Biol. 8(11): 1119–1126.

PORTEUS TA, REYNOLDS JC, MCALLISTER MK (2019): Population dynamics of foxes during restricted-area culling in Britain: Advancing understanding through state-space modelling of culling records. PLoS ONE 14(11): e0225201. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0225201.

TAPPER, S. C., G. R. POTTS & M. H. BROCKLESS (1996): The effect of an experimental reduction in predation pressure on the breeding success and population density of grey partridges Perdix perdix. J. Appl. Ecol. 33: 965–978.

WILD (2018): Wildtier-Informationssystem der Länder Deutschlands, DJV
https://www.jagdverband.de/WILD-Jahresberichte.

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